Cox-Ross-Rubinstein-Modell
Das Cox-Ross-Rubinstein-Modell (kurz CRR-Modell, oft auch: Binomialmodell) ist ein diskretes Modell für die Modellierung von Wertpapier- und Aktienkursentwicklungen. Hierbei werden für jeden Zeitschritt mehrere Entwicklungsmöglichkeiten postuliert und jede mit einer Wahrscheinlichkeit belegt. Die Eingrenzung auf nur zwei Entwicklungsmöglichkeiten wird auch Einperiodenmodell oder Zweiphasenmodell[1] genannt. Es wurde 1979 von John C. Cox, Stephen Ross und Mark Rubinstein entwickelt.
Das Binomialmodell wird als Methode zur Ermittlung von fairen Optionspreisen eingesetzt. Dabei wird das Duplikationsprinzip angewandt, welches in seiner einfachsten Form den Preis der Option bei Kursanstieg und den Preis der Option bei Kursabfall bewertet. Das Binomialmodell lässt sich durch einen Binärbaum graphisch darstellen. Es ist durch seine zeitdiskrete Struktur einfacher in der Anwendung als das Black-Scholes-Modell.[2] Das mehrstufige Binomialmodell ist tatsächlich eine Diskretisierung des Black-Scholes-Modells. Es ist eines der am weitesten verbreiteten Modelle in der Finanzmathematik.
Definition
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Ergebnisraum des Cox-Ross-Rubinstein-Modells für Perioden entspricht der Menge der verschiedenen Pfade, und die zugehörige σ-Algebra entspricht der Potenzmenge des Ergebnisraumes. Der kanonische Prozess ist wie üblich definiert, für beliebiges . Die Filtrierung des dem CRR-Modells unterliegenden filtrierten Wahrscheinlichkeitsraumes entspricht der kanonischen Filtrierung von . Es wird angenommen, dass jedes Ergebnis mit strikt positiver Wahrscheinlichkeit eintritt. Weiter sei der Preisprozess ein -dimensionaler stochastischer Prozess, wobei das erste Element eine risikolose Anlage mit Zinsrate darstellt und das zweite Element eine risikobehaftete Anlage. Dabei ist definiert zu Beginn durch einen Startwert und zu jedem Zeitpunkt durch
- ,
wobei der Prozess definiert ist durch
- mit
die prozentualen Veränderungen („nach oben“ bzw. „nach unten“) des Wertes von zwischen zwei konsekutiven Zeitpunkten.
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Satz[3] Das Binomialmodell ist genau dann arbitragefrei, wenn . In diesem Falle ist es sogar vollständig. Unter dem eindeutigen Martingalmaß sind bzw. unabhängig und identisch verteilte Zufallsvariablen und es gilt
für alle .
Bemerkung Tatsächlich würde im Falle die risikolose Anlage so attraktiv werden, dass ein Arbitrageur eine unbegrenzt große ungedeckte Shortposition in der risikobehafteten Anlage eingehen würde, um damit eine unbegrenzt große Longposition in aufbauen zu können. Im Falle würde hingegen so attraktiv werden, dass der Arbitrageur eine unbegrenz große Longposition darin halten würde, die er durch eine unbegrenzt große ungedeckte Shortposition in , das wäre also eine Kreditaufnahme, finanzieren würde.
Korollar. In einem arbitragefreien Binomialmodell ist der Wertprozess eines Derivats und die duplizierende Handelsstrategie gegeben durch
für alle , wobei
und . Überdies gilt die Rekursion
mit Endbedingung und die duplizierende Handelsstrategie ist durch gegeben, wobei
Bemerkung. Unter dem wahren Wahrscheinlichkeitsmaß kann die erste Bewegung theoretisch die letzte Bewegung beträchtlich beeinflussen. Unter dem äquivalenten Martingalmaß hingegen sind die Zeitzustandsentwicklungen u.i.v.
Anwendung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Risikoneutrale Bewertung
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Das Binomialmodell lässt sich zur risikoneutralen Bewertung mittels äquivalenter Martingalmaße nutzen. Die Bewertung wird so vorgenommen, dass die Marktteilnehmer risikoneutral seien.[4] Der aktuelle Aktienkurs wird als diskontierter Erwartungswert zukünftiger Aktienkurse verstanden.[1]
Der Aktienpreis zum Endzeitpunkt ist per definitionem entweder oder . Indem wir die Gleichung nach der Wahrscheinlichkeit , dass der Aktienpreis steigt, isolieren, erhalten wir
bzw. für die Wahrscheinlichkeit, dass der Aktienpreis fällt,
Analog erhalten wir für den risikoneutral bewerteten Preis der Kaufoption
bzw. der Verkaufsoption
Optionspreisbestimmung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zur Bewertung einer Option werden zunächst die Rückzahlungen in der Folgeperiode betrachtet. Im Fall des Kaufs einer Kaufoption wird die Option bei gestiegenem Kurs ausgeübt. Dann erhält der Käufer eine Rückzahlung (wenn ein Barausgleich vereinbart war) oder er erhält die Aktie zum Bezugspreis und kann sie zum höheren Kurs veräußern. Ist dagegen der Aktienkurs unter den Bezugspreis gefallen, lässt der Käufer die Option verfallen; er erhält dann keine Auszahlung.
Beispiel im Einperiodenmodell
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Angenommen, eine Aktie kostet 10 € zu einem festgelegten Startzeitpunkt. Zusätzlich wird eine Kaufoption zur Aktie gehandelt. In einem Jahr kann die Aktie entweder 11 € (Optionswert beträgt dann 1 €) oder 9 € (Optionswert ist dann null) wert sein. Wir möchten den Preis der Kaufoption zum Startzeitpunkt bestimmen. Zu diesem Zweck wird ein Portfolio mit Aktien long und einer Kaufoption short (d. h. wird also eine Kaufoption veräußert) gebildet. Der Barwert des Portfolios erfüllt als die Gleichung
Die Anzahl der Aktien, wofür das Portfolio in beiden Möglichkeiten denselben Wert annimmt, ist unabhängig von deren Eintrittswahrscheinlichkeit risikolos.[1] Das bedeutet zum Endzeitpunkt gilt woraus folgt, dass . In beiden Situationen ist der Portfoliowert zum Endzeitpunkt 4,5 €. Der Barwert des Portfolios zum Startzeitpunkt (bei Annahme eines risikolosen Zinses von 3 % p. a.) ist €.
Der Optionspreis zum Startzeitpunkt lässt sich dann mittels eines der beiden Szenarien (beliebig gewählt) bestimmen, z. B.
Der Optionspreis beträgt zum Startzeitpunkt somit €.
Beispiel im mehrstufigen Binomialmodell für europäische Optionen
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Das Einperiodenmodell kann natürlich verfeinert werden, indem man die Zeitintervalle verkürzt und mehrere Zeitpunkte betrachtet. Außerdem können auch mehrere mögliche Zustände betrachtet werden. In einem solchen mehrstufigen Binomialmodell dürfen sich Aktienkurse zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zeitpunkten ändern. Im mehrstufigen Binomialmodell muss zwischen europäischen und amerikanischen Optionen unterschieden.
Beim mehrstufigen Binomialmodell unterscheidet man rekombinierende von nicht rekombinierenden Bäumen. Nicht rekombinierende Bäume sind erforderlich bei pfadabhängigen Optionen (wie Barriere-Optionen oder asiatische Optionen). Die Umschichtung zu jedem Zeitpunkt muss durch eine selbstfinanzierende Strategie erfolgen.
Betrachte zum Startzeitpunkt eine risikolose Anlage mit Momentanzinssatz , eine Aktie mit Startwert bei 50 € und eine binäre Option mit Auszahlung von 1 € wenn der Aktienkurs gestiegen ist und null wenn der Aktienkursgefallen ist.
Angenommen, zum ersten Zeitpunkt nach dem Startzeitpunkt kann die Aktie entweder 54 € oder 49 € wert sein. Dann muss im Rahmen der risikoneutralen Bewertung gelten, dass . Dadurch lässt die Wahrscheinlichkeit für einen Kursanstieg berechnen
Der Preis der binären Option wäre bei Ausübung nach dem ersten Zeitpunkt
und lässt sich als Zustandpreis interpretieren. Im darauffolgenden Zeitpunkt kann die Aktie nun vier Zustände erreichen. War sie zum vorigen Zeitpunkt bei 54 €, dann mag sie entweder 57 € oder 52 € wert sein. War sie hingegen 49 € wert, dann kann sie nun 52 € oder 48 € wert sein. Es lassen sich wieder die Wahrscheinlichkeiten für einen Kursanstieg berechnen. Wenn die Aktie zuvor bei 54 € stand ist die Wahrscheinlichkeit eines Kursanstieges
Stand sie hingegen bei 49 € ist die Wahrscheinlichkeit eines Kursanstieges
Der Preis der binären Option bei Ausübung nach dem zweiten Zeitpunkt lässt sich induktiv berechnen, indem man zunächst den Wert der binären Option mit Startzeitpunkt und Endzeitpunkt für die beiden möglichen Fälle berechnet. Indem man diese beiden Preise dann entsprechende der Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichtet und abzinst, erhält man den Preis der binären Option mit Startzeitpunkt und Endzeitpunkt .
Duplizierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine Kaufoption auf eine Aktie lässt sich mittels eines Portfolios aus Aktien und einem Kredit (festverzinslichen Titeln) duplizieren, d. h. wird erfüllt. Die Option wird also als kreditfinanzierter Aktienkauf dupliziert (Für eine Verkaufsoption wäre es unter Notationsmissbrauch ebenfalls ). Aus der Arbitragefreiheitsbedingung folgt, dass der Wert dieses Portfolios dem heutigen Optionswert entspricht. Indem wir nach isolieren, erhalten wir
(bzw. für eine Verkaufsoption). Indem die Gleichung nach den beiden möglichen Szenarien (Kurs steigt oder Kurs fällt) aufgeschlüsselt wird, erhalten wir das Gleichungssystem aus zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten
wobei die Anzahl der Aktien je Kaufoption und der Kreditumfang je Kaufoption ist. Wir isolieren in der zweiten Gleichung und ersetzen es in der ersten Gleichung. Wenn wir die erste Gleichung nach isolieren, erhalten wir das Verhältnis der Differenz der Kaufoptionspreise ist zur Differenz der Aktienpreise , also
Dieses Verhältnis wird in der Finanzmathematik Delta genannt. Das Delta ist wichtig bei der Bewertung und Absicherung. Es ist die Sensitivität des Optionspreises auf Änderung des Aktienkurses um eine Einheit. Das Delta wird als das Verhältnis der Änderung des Optionspreises zur Änderung des zugrunde liegenden Aktienkurses definiert. Das Delta einer Verkaufsoption ist durch
gegeben. Das Delta einer Kaufoption ist positiv, jenes einer Verkaufsoption negativ. Bei zweistufigen Binomialbäumen wird das Delta für die beiden Zeitschritte angegeben, wobei beim zweiten Zeitschritt die Auf- und Abwärtsbewegung berücksichtigt wird. Das CRR-Modell erfüllt eine vereinfachte derivate Form der Put-Call-Parität .[4]
Ausübungseigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Prinzip der dynamischen Umschichtungsstrategie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mit einer dynamischen Umschichtungsstrategie mit nur zwei Instrumenten ist jedes Zahlungsprofil am Erfüllungszeitpunkt erzeugbar. Über dynamische Handelsstrategien wird ein vollständiger Kapitalmarkt erzeugt.
Abzinsung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Risikobehaftete Zahlungsströme müssen mit dem risikoadjustierten Zinssatz abgezinst werden (z. B. mit dem CAPM-Zinssatz). Jedoch ist die Risikoeigenschaft einer Option abhängig von der Höhe des Aktienkurses und der Restlaufzeit. Der risikoadjustierte Zinssatz ist ; die genaue Funktionsform ist unbekannt.
Aus der Vollständigkeit des Kapitalmarktes folgt, dass man im Zeitablauf in jedem Knoten lokal ein risikoloses Portfolio aus Aktie long und einer Kaufoption short erzeugen kann. Der Barwert ergibt sich hier also aus dem risikolosen Zinssatz, der hier der passende Zinssatz ist.
Dividenden
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei diskreten Dividenden, die proportional zum Kurs gezahlt werden, bleibt der Baum rekombinierend. Dies entspricht zwar nicht der Praxis, aber so lässt sich der zugehörige Binärbaum numerisch beherrschen. Damit kommt jedoch einher, dass der Optionswert von der Ausübungsstrategie abhängt.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jürgen Kremer: Mehr-Perioden-Modelle. In: Einführung in die Diskrete Finanzmathematik. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-25394-5, S. 143–227, doi:10.1007/3-540-29268-3_3.
- Albrecht Irle: Preistheorie im n-Perioden-Modell. In: Finanzmathematik. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden 2003, ISBN 978-3-519-12640-9, S. 61–87, doi:10.1007/978-3-663-10069-0_3.
- Ralf Korn: Zeitdiskrete Finanzmarktmodelle. In: Moderne Finanzmathematik – Theorie und praktische Anwendung. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-04126-7, S. 1–55, doi:10.1007/978-3-658-04127-4_1.
- Nicole Bäuerle, Ulrich Rieder: Cox-Ross-Rubinstein-Modell. In: Finanzmathematik in diskreter Zeit. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2017, ISBN 978-3-662-53530-1, S. 21–36, doi:10.1007/978-3-662-53531-8_3.
- Stefan Reitz: Mathematik der modernen Finanzwelt. Derivate, Portfoliomodelle und Ratingverfahren. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-8348-0943-8, Kapitel 3.
- Steven E. Shreve: Stochastic Calculus for Finance I. The Binomial Asset Pricing Model. Springer, New York 2005, ISBN 0-387-24968-0.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Eintrag im Gabler Wirtschaftslexikon
- Artikel zur Implementierung des Modells in Microsoft Excel (englisch)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Ernst Eberlein: Grundideen moderner Finanzmathematik. In: Mitteilungen der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. Band 6, Nr. 3, 1. Januar 1998, ISSN 0942-5977, doi:10.1515/dmvm-1998-0307 (degruyter.com [abgerufen am 5. August 2025]).
- ↑ John C. Cox, Stephen Ross, Mark Rubinstein: Option Pricing: A Simplified Approach. In: Journal of Financial Economics. Nr. 7, 1979, S. 229–263.
- ↑ Harald Luschgy: Optionspreistheorie. In: Martingale in diskreter Zeit. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-29960-5, S. 283–308, doi:10.1007/978-3-642-29961-2_8 (springer.com [abgerufen am 15. Juli 2025]).
- ↑ a b Dietmar Pfeifer: Zur Mathematik derivativer Finanzinstrumente: Anregungen für den Stochastikunterricht. In: Stochastik in der Schule. Band 20, Nr. 2. Verein zur Förderung des schulischen Stochastikunterrichts e.V., Dortmund / Greifswald 2000.